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Sprühhalsbänder: Köpfchen
statt Knöpfchen...
(Clarissa v. Reinhardt, animal learn)
...das gilt auch für die viel gepriesenen Sprühhalsbänder,
die in verschiedenen Ausführungen den Markt erobert haben.
Spätestens seit uns Hundenanny Katja Geb-Mann allwöchentlich
im deutschen Fernsehen vorführt, wie jeder Hund, ganz gleich
welches Problem er seinen Haltern vermeintlich oder tatsächlich
bereitet, mit Einsatz einer Fernbedienung in das Verhalten gepresst
werden kann, das Herrchen oder Frauchen beliebt, finden die Halsbänder,
die einen angeblich völlig harmlosen Spraystoß von sich
geben, steigenden Absatz.
Doch schon der gesunde Menschenverstand lässt einen aufhorchen,
wenn Hersteller und Anwender behaupten, dass der jederzeit auszulösende
Sprühstoß für den Hund "gar nicht schlimm"
sei. Da fragt man sich doch selbst nach nur kurzem Nachdenken, wie
es denn möglich sein soll, instinktive, genetisch fixierte
Verhaltensweisen wie zum Beispiel das Jagdverhalten durch etwas
zu unterdrücken, das dem Hund gar nichts ausmacht?! Dem Hundehalter
wird generös angeboten, das Gerät doch selbst mal in die
Hand zu nehmen oder um den Hals zu legen, während der Trainer
den Auslöser betätigt... und tatsächlich, so schlimm
war das doch gar nicht. Ein kurzes "Zischhhh" mit etwas
feucht-kalter Luft. "Ja", bestätigt der überzeugte
Hundehalter, "das war gar nicht schlimm." Was Hersteller
und Trainer jedoch geflissentlich verschweigen (aus Unwissenheit
oder in betrügerischer Absicht?!), ist die Tatsache, dass plötzlich
auftretende, nicht eindeutig zuzuordnende Zischlaute beim Hund als
Angst auslösende, sogar lebensbedrohliche Laute abgespeichert
sind, bei denen sofort die Flucht ergriffen werden muss. Jeder kennt
den Anblick eines Hundes, der sich selbst im Körbchen `zig
mal um die eigene Achse dreht, bevor er sich schließlich gemütlich
niederlegt. Es handelt sich bei dieser Verhaltensweise um ein Erbe
aus den Zeiten, in denen der Hund noch weitgehend draußen
in Freiheit lebte. Bevor er sich hinlegte, drehte er sich mehrfach
im Gras oder Laub, um die ausgesuchte Liegestelle als ungefährlich
abzusichern. Sollte beim Drehen ein Zischlaut (zum Beispiel von
einer Schlange) zu hören sein, würde er sich durch einen
Sprung zur Seite in Sicherheit bringen. Biologisch sinnvoll... und
diesen genetisch fixierten, Angst auslösenden Zischlaut bringen
wir Menschen nun in den unmittelbaren Kopfbereich des Hundes! Und
drücken vielleicht gleich mehrfach das Auslöseknöpfchen,
worauf der Hund ganz leicht nicht nur in Angst, sondern sogar in
Panik versetzt werden kann - ohne die Möglichkeit, sich durch
die Flucht zur retten!
Eigentlich ist dieser Umstand allein schon Grund genug, niemals
zu erlauben, dass einem uns anvertrauten Lebewesen ein solches Gerät
angetan (im wahrsten Sinne des Wortes!) wird. Es gibt aber noch
mehr Probleme:
Der Hund weiß nie, wann und vor allem warum der Sprühstop
ausgelöst wird, befindet sich also in ständiger Erwartungsunsicherheit.
Wer wissen möchte, wie sich das anfühlt, dem empfehle
ich folgendes Eigenexperiment, das nicht in Anwesenheit eines Hundes
durchgeführt werden sollte, damit dieser nicht unnötig
verunsichert wird: Bitten Sie ein Familienmitglied oder einen Freund,
Sie wirklich stark zu erschrecken, zum Beispiel durch einen lauten
Schrei oder dadurch, dass er plötzlich die Stereoanlage zu
voller Lautstärke aufdreht oder zwei Töpfe aufeinander
schlägt, wenn Sie gerade überhaupt nicht damit rechnen,
sich zum Beispiel entspannt im Sessel zurücklehnen oder gerade
mit Freunden Karten spielen. Das Experiment sollte mindestens mehrere
Stunden, am besten ein oder zwei Tage dauern und der Schreckreiz
sollte in dieser Zeit mehrfach ausgelöst werden - ohne dass
Sie wissen, wann dies sein wird. Sie werden merken, dass der eigentliche
Reiz, wenn er dann endlich auftritt, bei weitem nicht so schlimm
zu ertragen ist, wie die zermürbende Warterei auf ihn. Obwohl
man ihn fürchtet, wünscht man ihn schon beinahe herbei
in der Hoffnung, dann wieder eine Weile Ruhe zu haben, was aber
nicht so ist, da er kurz nach dem Auftreten ein zweites oder drittes
Mal ausgelöst wird und dann wieder stundenlang gar nicht, ganz
wie es Ihrem Helfer beliebt. Keine angenehme Vorstellung, nicht
wahr?!
Aber es gibt noch weitere Probleme. Gleich mehrere ergeben sich
aus der Tatsache, dass Hunde über gedankliche Verknüpfung
lernen. Trägt der Hund das Halsband und erhält den Sprühstoß,
wenn er zum Beispiel auf mehrfachen Zuruf nicht kommt, so möchte
der Mensch ihm damit zeigen, dass er dafür mit Schreckreiz
bestraft wird, dass er ungehorsam ist. Es kann aber gut sein, dass
er in genau diesem Moment zu einem kleinen Kind, einem Jogger oder
einem anderen Hund schaut - und den Strafreiz damit verbindet. Das
Ergebnis ist dann ein Hund, der noch immer nicht besser auf Abruf
reagiert, dafür aber Ängste, evtl. sogar durch die Angst
ausgelöste Aggressionen, gegen das entwickelt, was er gerade
sah. Die Hundehalter sind dann ratlos, weil ihr Hund "plötzlich"
kleine Kinder meidet oder Jogger anknurrt, mit denen er doch bisher
bestens auskam. Viele solcher Beispiele finden sich in meiner Hundeschule
ein, erst kürzlich ein Rodesian Ridgeback Rüde, dessen
Sprühhalsband immer ausgelöst wurde, wenn er zum Wildern
durchbrennen wollte. Bei diesen Spaziergängen war allerdings
auch immer seine Gefährtin, der Zweithund der Familie, anwesend.
Die Halter kamen nun nicht wegen des unerwünschten Jagdverhaltens
zu mir in die Hundeschule, mit dem sie sich inzwischen abgefunden
hatten, sondern weil der Rüde seit Wochen die Nähe der
Hündin mied. Immer wenn diese den Raum betrat oder sich, so
wie früher, zu ihm kuscheln wollte, verließ er mit ängstlichem
Gesichtsausdruck das Zimmer und das konnte man sich nicht erklären...
Was hatte man diesen beiden Hunden angetan! Welche Gefühle
wurden in den Tieren ausgelöst?! Der Rüde hatte nun Angst
vor seiner Gefährtin, die er früher heiß und innig
liebte, während diese nicht verstehen konnte, weshalb er, der
vorher immer leidenschaftlich mit ihr spielte und tobte, sie jetzt
mied. Die gleiche Trainerin, die den Einsatz des Sprühhalsbandes
empfohlen hatte, empfahl jetzt übrigens, einen der Hunde abzugeben,
weil die Tiere sich unterschiedlich entwickelt hätten und einfach
nicht mehr gut zueinander passen würden. Die Ängste des
Rüden erklärte sie über die angeblich dominante Ausstrahlung
der Hündin. Man könnte weinen, wenn Hunden mit einem solchen
Schicksal gegenüber steht - oder es packt einen einfach nur
die Wut.
Die Probleme gehen noch weiter, denn nichts generalisiert sich
bei Hunden so schnell, wie Geräuschangst. Nicht nur dieser
Rüde, sondern auch zahlreiche andere Hunde entwickeln nach
Einsatz des Sprühhalsbandes Ängste vor allen möglichen
Geräuschen. Das Öffnen einer kohlsäurehaltigen Getränkeflasche,
das Zischen von heißem Fett in der Pfanne, Knall- und Schussgeräusche,
die dem Hund vorher egal waren, versetzen ihn jetzt in Angst und
Schrecken. Der oben erwähnte Ridgeback Rüde zum Beispiel
verzog sich mit eingezogener Rute unter den Tisch des Besprechungsraums,
als ich eine Wasserflasche öffnete. Dies tat ich nicht, weil
ich Durst hatte - trauriger Weise gehört es inzwischen schon
fast zum Standardprogramm beim ersten Kennenlernen und Analysieren
eines mir vorgestellten Hundes auszutesten, ob er schon mit Sprühhalsband
gearbeitet wurde und welche Wunden dies an seiner Seele hinterlassen
hat. Die Halterin war auch sehr erstaunt, als ich ihr nach dem "Flaschentest"
auf den Kopf zusagte, dass an ihrem Hund sicher schon mit Sprühhalsband
gearbeitet worden war. Das wollte sie mir eigentlich gar nicht erzählen,
weil sie schon gehört hatte, dass ich gegen den Einsatz dieser
Geräte bin. Nachdem ich sie auf die Reaktion ihres Hundes hingewiesen
hatte, war sie sehr betroffen. Und wütend, nachdem ich ihr
erklärte, weshalb ihr Rüde jetzt Angst vor der Hündin
und vor allen möglichen Geräuschen hatte. Wütend
auf die Trainerin, die sie auf diese "unerwünschten Nebenwirkungen"
nicht aufmerksam gemacht, sondern immer erklärt hatte, wie
harmlos der Einsatz des Gerätes sei. Für mich stellt sich
die Frage, ob Kollegen, die es einsetzen, um diese Nebenwirkungen
nicht wissen, oder ob sie diese bewusst verschweigen, weil kaum
jemand bereit wäre, den Einsatz zu erlauben, wenn sie bekannt
wären. Und ich stelle mir die Frage, was von beiden eigentlich
schlimmer ist...
Last not least gibt es Probleme mit der Technik. Es soll schon
vorgekommen sein, dass das Gerät durch andere Funkfrequenzen
oder sogar die Fernbedienung eines in der Nähe befindlichen
Halsbandes an einem anderen Hund ausgelöst wurde. Der Strafreiz
wird dann also einem Hund verabreicht, der einfach nur herumsteht
oder gerade spielt oder sonst etwas tut. Das steigert die Erwartungsunsicherheit
natürlich noch mehr und erhöht die Trefferquote auf Fehlverknüpfungen
immens. Zusätzlich löst es nicht immer zuverlässig
aus, kann zum Beispiel durch Wetterlagen mit feuchter Luft (Nebel,
Regen) verzögert oder gar nicht reagieren. Schließlich
zeigt es auch nicht an, wann die Batterie leer ist, wodurch es passieren
kann, dass der Auslöser gedrückt wird und nichts geschieht.
Dann käme man durch das Ausbleiben des Strafreizes (wenn der
Hund denn überhaupt verstanden hätte, wofür er eigentlich
bestraft werden soll) in den Bereich der variablen Bestätigung,
was das unerwünschte Verhalten sogar noch verstärkt. Der
Hund würde nämlich lernen, dass er das Verhalten nur immer
wieder zeigen muss, bis er schließlich wieder zum Erfolg (in
diesem Fall das Ausbleiben des Strafreizes und die erfolgreiche
Durchführung des Verhaltens) kommt.
Man kann es also drehen und wenden, wie man will: Sprühhalsbänder
sind ganz und gar nicht harmlos, im Gegenteil sogar sehr gefährlich.
Manche Hunde werden durch sie so verunsichert, dass sie in die so
genannte erlernte Hilflosigkeit fallen, was zur Folge hat, dass
sie kaum noch Aktionen zeigen oder Handlungen anbieten, weil sie
in ständiger Angst vor dem für sie unkalkulierbaren Strafreiz
leben. Um diesen Tieren - und ihren verzweifelten Haltern - zu helfen,
braucht es ein meist lang angelegtes, gut durchdachtes Training,
das den Hund aus dieser erlernten Hilflosigkeit und seinen vielfältigen
Ängsten wieder herausholt.
Sprühhalsbänder gaukeln dem Hundehalter vor, mal eben
schnell per Fernbedienung eine Lösung für vermeintliche
oder tatsächlich entstandene Probleme zu haben. Aber so einfach
ist das nicht. Hunde sind uns anvertraute, fühlende und denkende
Lebewesen, die nicht beliebig manipulierbar sind und deren Lernverhalten
sich von dem unseren ganz erheblich unterscheidet. Ich kann deshalb
nur dringend empfehlen, jeden Ausrüstungsgegenstand und jede
Methode, der/ die durch Hersteller oder Trainer empfohlen wird,
vor Anwendung am Hund genau zu prüfen, sich gut zu informieren
und im Zweifelsfall nach dem guten alten Motto zu entscheiden, das
auch für unsere Hunde gelten sollte: Was Du nicht willst, das
man Dir tu, das füg auch keinem anderen zu.
© Clarissa v. Reinhardt
animal learn
P.S.: Hiermit lade ich alle Hundefreunde ein, bei
der Verbreitung dieses Textes zu helfen. Ich erlaube als Autorin
ausdrücklich, ihn (vollständig und unverändert und
unter Nennung der Quelle) auf anderen Homepages zu veröffentlichen,
auszudrucken und zu verteilen oder auf ihn hinzuweisen. Je mehr
Menschen um die Tücken und Gefahren des Sprühhalsbandes
wissen, je mehr Hunden bleibt dessen Anwendung - hoffentlich - erspart.
Ein herzliches DANKE an jeden, der diesen Text weiter gibt.
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